SBB-Chef Andreas Meyer: «Preiserhöhungen von 10 Prozent decken nicht alle Kosten»

SBB-CEO Andreas Meyer über teurere Abonnemente und Billette, Sparpotenzial bei der Verwaltung und den Zahlungswillen des Bundes

Von Nicole Kircher und Denis von Burg - Sonntags Zeitung vom 03. April 2011

                                                                                                          Foto: Marcel Manhart

 

Die SBB bauen ihre Aktivitäten als Reisebüro aus, realisieren neue Lounges und sind im Immobiliengeschäft aktiv. Gehört das zu den Kernaufgaben?

Es geht bei all diesen Aktivitäten darum, unseren Kunden zusätzliche Dienstleistungen anzubieten. Zudem haben wir vom Bundesrat den Auftrag, die SBB betriebswirtschaftlich zu führen und nicht nur im Personenverkehr und bei den Immobilien Gewinne zu erzielen. Damit entlasten wir ja auch die öffentliche Hand. Aus dem gleichen Grund müssen wir in den nächsten Jahren auch nochmals produktiver werden.

 

Wo wollen Sie die Produktivität steigern, und was bedeutet das für die Anzahl Stellen?

In der Verwaltung haben wir sicher noch Potenzial. Deshalb schauen wir alle Bereiche, die nicht direkt an der Abwicklung des Bahnverkehrs beteiligt sind, noch einmal genau an. Allerdings machen unsere 28 000 Mitarbeitenden schon heute einen super Job, wir haben letztes Jahr hervorragende Resultate erzielt. Da wir uns in einem wachsenden Markt bewegen, brauchen wir zusätzliche Lokomotivführer und Zugbegleiter. Deshalb werden wir auch mittelfristig sicher nicht weniger Arbeitsplätze anbieten als heute.

 

Der Bundesrat will die Bahnfinanzierung auf eine neue Basis stellen und die Kunden und die Kantone stärker zur Kasse bitten. Was halten Sie von diesem Vorschlag?

Ich bin froh und dankbar, dass Bundesrätin Doris Leuthard die Herausforderung der zukünftigen Finanzierung des Bahnsystems so mutig und zielgerichtet annimmt. Das ist kein bequemes Thema. Den vorgeschlagenen Bahninfrastrukturfonds halte ich für eine gute Lösung. Er garantiert, dass bei neuen Infrastrukturprojekten auch die Finanzierung des Unterhalts und der Folgekosten gesichert ist.

 

Die Frage ist ja nun, wer dies bezahlen soll.

Wie die Lasten verteilt werden, wird jetzt auf der politischen Ebene diskutiert. Es ist nicht in erster Linie an den SBB, hier Vorschläge zu machen. Ich bin aber der Meinung, dass auch der Bund seinen Anteil an der Finanzierung der Bahninfrastruktur erhöhen muss. Da war er bisher etwas zurückhaltend.

 

Das will der Bundesrat nicht.

Der Bund ist neben den Bahnkunden und den Kantonen ein Nutzniesser des gut funktionierenden Bahnsystems, denn dieses hält die Volkswirtschaft am Laufen. Deshalb wird auch er sich etwas stärker engagieren müssen als heute.

 

Der Bundesrat schlägt zudem vor, die Billettpreise zu erhöhen. Sind Ihre Bedürfnisse damit abgedeckt?

Der Bund spricht von 10 Prozent bis 2017. Diese Mehreinnahmen sollen alle für den Unterhalt und Ausbau des Bahnnetzes verwendet werden. Darüber hinaus brauchen wir als SBB aber auch zusätzliche Einnahmen. Nur so können wir aus eigener Kraft neue Züge kaufen, die steigenden Betriebskosten decken und unsere Verschuldung stabilisieren. Wir wollen ja ein nachhaltig finanziertes Unternehmen werden.

 

Wie viel Geld brauchen Sie dafür?

In unserer Planung sind wir bisher von 3 Prozent Preiserhöhung pro Jahr ausgegangen.

 

... das wären dann aber 18 Prozent zusätzliche Kosten und nicht 10 Prozent, wie jetzt kommuniziert wird.

Mit Preiserhöhungen von 10 Prozent sind sicher nicht alle Kosten gedeckt. Wie viel es am Ende sein wird, lässt sich heute noch nicht abschätzen. Sicher ist: Wir wollen faire Preise, die für die Kunden nachvollziehbar und transparent sind.

 

Auf wie viel höhere Preise müssen sich die Kunden 2012 einstellen?

Diese Frage diskutieren wir aktuell mit allen anderen Transportunternehmen. Klar ist, dass die Erhöhungen nicht wie mit einer Giesskanne alle Kunden gleich stark treffen sollen. Der grösste Handlungsbedarf besteht bei den Abonnementen, weil dort das Angebot viel stärker wächst als der Preis.

Langfristig sollen Kunden, die in einem neuen, schnellen Zug reisen, mehr bezahlen als Kunden, die einen langsameren, älteren Zug nehmen.

Ja, die Tarife sollen sich künftig mehr an der Qualität der erbrachten Leistung orientieren. Aber es wird noch einige Jahre dauern, bis wir die rechtlichen und technischen Voraussetzungen für differenzierte Tarife haben.

 

Das bedeutet aber, dass es für das Generalabonnement (GA) dann keinen fixen Preis mehr geben wird?

Das Generalabonnement wird eher eine Karte mit einem Chip sein, die den Passagier beim Ein- und Aussteigen elektronisch erfasst und den Preis für die Zugfahrt abrechnet.

 

Und wann erfährt der Kunde, wie teuer es ihn kommt?

Wir sind noch lange nicht in den Details. Wichtig ist, dass die Preise transparent, nachvollziehbar und fair sind und dass der offene Zugang zu unseren Zügen gewahrt bleibt.

 

Soll der preisliche Abstand zwischen dem 2.-Klasse-GA und jenem der 1. Klasse vergrössert werden?

Ja. Ich höre immer wieder von 1.- Klasse-Kunden, dass sie durchaus bereit wären, mehr zu bezahlen.

 

Wie viel mehr?

Da gibt es keine konkrete Zahl, aber der Abstand könnte grösser sein als heute. Parallel dazu wollen wir aber auch den Service weiterverbessern.

 

 

Schnellzüge sollen 20% teurer werden

Brisanter Plan von SBB-Präsident Ulrich Gygi: je schneller und bequemer der Zug, desto teurer das Billett.

Ulrich Gygi zahlte kürzlich im Intercity von Düsseldorf (D) nach Köln (D) einen «nicht gerade zimperlichen Zuschlag». Das hat ihn auf eine brisante Idee gebracht: Im Interview mit SonntagsBlick offenbarte der Verwaltungsratspräsident der SBB, dass künftig auch Passagiere in der Schweiz je nach Geschwindigkeit und Komfort Aufschläge zahlen – ebenfalls keine «zimperlichen». Gygi: «Ein Preisunterschied von beispielsweise 20 Prozent ist je nach Geschwindigkeit durchaus möglich.»

Je nach Komfort und Reisezeit soll ein Chip auf der Fahrkarte unterschiedliche Beträge von einem persönlichen Guthaben abbuchen. Beim Bummler zu Randzeiten weniger, beim Schnellzug zur Hauptverkehrszeit mehr – eben bis zu ­einem Fünftel.

Die Idee, über deren Umsetzung derzeit eine Arbeitsgruppe brütet, soll zwei grosse Probleme der SBB aus der Welt schaffen. Mit der Preisdifferenzierung liessen sich die Pendlerströme besser steuern. Und sie bringt Mehreinnahmen für anstehende Ausbau-Investitionen.

Die Kundenvereinigung Pro Bahn lehnt solche Zuschläge auf Schnellzügen rundweg ab, so Vizepräsident Kurt Schreiber. Schon in den Kriegsjahren habe die Bahn sie verlangt, aber wieder abgeschafft, weil sie sich nicht bewährten. «Ich verstehe nicht», sagt Schreiber, «wieso die SBB eine Wiedereinführung planen.»

Brutaler Preisschock
Dabei ist Gygis Vorschlag nur einer von drei Preisschüben:
• Die SBB-Chefs betonten am Mittwoch, dass sie nach wie vor jährliche Ticket-Preiserhöhungen von rund drei Prozent anstreben.
• Tags darauf gab Verkehrsministerin Doris Leuthard ihre Vorstellungen für die künftige Verkehrsfinanzierung in die Vernehmlassung. Sie will die Kantone und die Kunden stärker an der Finanzierung der Bahninfrastruktur beteiligen.

Schreiber hat nachgerechnet: ­Alles in allem erhöhen sich mit ­diesen geplanten Aufschlägen die Preise für Bahnkunden bis 2017 auf Schnellstrecken um bis zu
50 Prozent!

Für die Strecke Zürich–Bern hies­se dies: Statt 47 Franken kostet ein Halbtags-Retourticket Zürich–Bern in der 2. Klasse plötzlich Fr. 70.50. In der 1. Klasse wären 117 statt
78 Franken fällig.

«Das ist völlig überrissen», wettert Schreiber: «Die Bahn ist ein Allgemeingut, sie kann nicht kostendeckend sein.» Pro Bahn verstehe nicht, warum Kunden dafür bestraft werden sollen, dass sie zur Arbeit fahren müssen.

Schreiber: «Preiserhöhungen kommen für uns nur im Rahmen der Teuerung in Frage.»