ZVV-Nachtzuschlag: Bei der Kontrolle gibt es öfters Probleme

Wegen des Nachtzuschlags gibt es in der Zürcher S-Bahn oft Ärger. 

Der Verkehrsverbund (ZVV) soll deshalb auf den Aufpreis von fünf Franken verzichten. Dies würde die Sicherheit erhöhen, sagt das Bahnpersonal.

 

Von Stefan Häne - Tages Anzeiger

 

Viel Alkohol, wenig Hemmungen, kein Ticket: Aus dieser Mischung kann ein explosiver Cocktail entstehen, wenn am Wochenende vornehmlich junge Leute eine Nacht-S-Bahn oder einen Nachtbus benutzen. Letztes Jahr taten dies durchschnittlich 12'200 pro Nacht (Freitag und Samstag). Die Zugbegleiter der SBB wissen davon ein Lied zu singen. Das grösste Konfliktpotenzial in den S-Bahnen geht ihrer Erfahrung gemäss vom Nachtzuschlag aus. Auf diese Problematik haben vor zwei Wochen rund 100 Zugchefs der Zürcher S-Bahn an einer Versammlung im Zürcher Volkshaus hingewiesen.

Ist der Zug für den Nachtzuschlag bald abgefahren?                    Foto: Marcel Manhart

 

Auch Jürg Hurni vom Schweizerischen Eisenbahn- und Verkehrspersonal-Verband (SEV) hält die Nachtzuschläge für heikel: «Immer wieder kommt es in den S-Bahnen deswegen zu Konflikten.» Seien dies Wortgefechte oder gar Handgreiflichkeiten, weil die Reisenden nicht verstünden, dass sie trotz gültigem Billett den Zuschlag bezahlen müssten. Vor diesem Hintergrund propagiert der SEV, den Nachtzuschlag von 5 Franken zu streichen. Auf diese Weise, so Hurni, liesse sich eine «normale» Kontrolle durchführen und zudem das Bahnpersonal entlasten, speziell vom psychischen Druck, in heikle Situationen zu geraten. «Ein Grossteil der Aggressionen entstünde gar nicht erst, und die Sicherheit für die Nachtschwärmer in den Zügen würde erhöht», zeigt sich Hurni überzeugt.

ZVV: Konflikte nicht scheuen
ZVV-Sprecherin Beatrice Henes bezweifelt, ob sich ohne Kontrollen das Gewaltpotenzial mindern würde. Zudem ist es aus Sicht des ZVV «grundsätzlich falsch», auf Kontrollen zu verzichten, bloss um möglichen Konflikten aus dem Weg zu gehen. Eine Zugbegleitung müsse Fahrausweiskontrollen durchführen können. Dies hat nicht zuletzt einen wirtschaftlichen Grund: Wegen Schwarzfahrern gehen dem ZVV nach eigener Schätzung insgesamt 30 bis 40 Millionen Franken pro Jahr durch die Lappen. Zweifel äussert auch Fredi Schödler von der Baselland Transport AG, die im Tarifverbund Nordwestschweiz (TNW) eingebunden ist. «Es ist fraglich, ob die Konflikte ohne Nachtzuschlag spürbar abnehmen werden.» Die Mehrheit der Nachtschwärmer zahle den Zuschlag ohne Aufheben. 

Die Idee des SEV birgt eine weitere Schwierigkeit: Der ZVV kann das Nachtnetz heute kostendeckend betreiben, allerdings nur dank dem Nachtzuschlag von 5 Franken, den alle Zugreisenden zusätzlich zum gewöhnlichen Ticket zahlen müssen. Fällt dieses Geld weg, braucht es eine neue Finanzierungsquelle. Wie sich der fehlende Betrag kompensieren liesse – dazu hat der SEV keinen ausgegorenen Vorschlag parat, wie Hurni einräumt.

Abo bis zu 30 Franken teurer
Eine Möglichkeit bestünde darin, die Finanzierung über eine allgemeine Erhöhung der Ticketpreise und Abos sicherzustellen. Der Aufschlag betrüge, wie der ZVV schätzt, rund 1 Tarifprozent. Das bedeutet: rund 10 bis 30 Rappen auf Einzeltickets und 5 bis 30 Franken auf Abos. ZVV-Sprecherin Henes gibt zu bedenken, dass bei jedem Angebotsausbau im Nachtnetz wieder neu zu entscheiden wäre, ob ein weiterer Aufschlag nötig sei, zusätzlich zu den ohnehin geplanten und nötigen Tariferhöhungen. Die Kompetenz für solche Änderungen liegt beim Kantonsrat: Auf sein Geheiss muss der ZVV seit 2002 das Nachtnetz kostendeckend betreiben. Und tut es auch, und zwar seit sechs Jahren. Heute generiert der ZVV mit den Einnahmen aus dem Zuschlag jährlich 6 Millionen Franken. 

Esther Guyer, Fraktionschefin der Grünen, würde eine Abschaffung begrüssen: Den Nachtzuschlag bezeichnet sie als «zusätzliche Erschwernis». «Wir alle wollen, dass die Jugendlichen sicher und leicht nach Hause kommen.»

Basel hat Abschaffung schon gutgeheissen
Guyer hat mit ihrer Position im rot-grünen Lager keinen leichten Stand. SP-Kantonsrätin Sabine Ziegler etwa warnt davor, das Nachtnetz von sämtlichen ZVV-Fahrgästen finanzieren zu lassen: «Wir haben jetzt schon laufend Tariferhöhungen.» Gehe dies so weiter, bestehe die Gefahr, dass die Zürcherinnen und Zürcher vermehrt von der Bahn aufs Auto umsatteln würden. Ziegler betont, ihre Partei, die SP, habe diese Diskussion noch nicht geführt.

Im Tarifverbund Nordwest (TNW) ist die Debatte bereits weiter gediehen. Der Baselbieter Landrat und der Basler Grosse Rat haben die Abschaffung im letzten Jahr bereits gutgeheissen. Für eine definitive Abkehr vom Zuschlag im ganzen TNW-Verbundgebiet braucht es allerdings noch die Zustimmung der Kantone Aargau und Solothurn.

Bürgerliche dagegen
In Zürich sind es vor allem Bürgerliche, die sich gegen das Ansinnen stemmen. FDP-Fraktionschef Thomas Vogel taxiert das Nachtangebot des ZVV als Zusatzleistung, die entsprechend bezahlt werden müsse. GLP-Fraktionschef Thomas Maier erinnert an das Verursacherprinzip, das mit einer Abschaffung des Zuschlags verloren ginge. Das Nachtnetz sei ein Erfolgsmodell, auch in wirtschaftlicher Hinsicht. CVP-Fraktionschef Philipp Kutter – selber ein Benutzer des Nachtangebots – zahlt die 5 Franken gerne, weil «ich weiss, dass die Züge dann sauber und begleitet sind». Gerade auch im Verhältnis zu den sonstigen Ausgaben im Ausgang sei der Ticketaufpreis vertretbar. Dieser Ansicht ist auch SVP-Fraktionschef Hans Frei. Die 5 Franken seien angemessen. Die SVP lehnt das Ansinnen laut Frei auch deshalb ab, weil sie die 24-Stunden-Gesellschaft «nicht noch mehr fördern» will.