Die Bahn am Puy-de-Dôme: Eine neue Zahnradbahn auf altem Trassee

Wer meint, Zahnradbahnen seien von gestern, ist nicht auf der Höhe der Zeit. In Frankreich wird am Puy-de-Dôme nahe bei Clermont-Ferrand eine neue solche Anlage in Betrieb genommen – mit Gleisbautechnik und Fahrzeugen aus der Schweiz.

 

Von Paul Schneeberger - NZZ vom 10. Mai 2012 

Ein  neues  Fahrzeug  für  die  Bahn  am  Puy-de-Dôme  in  der  Werkhalle  von Stadler Rail  in  Bussnang                                                                              Foto: Marcel Manhart

 

 

Der rund 15 Kilometer von der Industriestadt Clermont-Ferrand entfernte Puy-de-Dôme gehört als höchster unter den Kegeln ehemaliger Vulkane im Zentralmassiv zu den markantesten Bergen Frankreichs. Dies nicht nur wegen seiner Erscheinung, sondern auch wegen seiner reichen Kulturgeschichte. Sie reicht zurück bis in die Antike, in der er eine Pilgerstätte war. Mehrere Kapitel umfasst auch seine Verkehrsgeschichte, die in ihrer Wechselhaftigkeit an die Entwicklung des Nahverkehrs in französischen Städten gemahnt.

 

 

Von Hanscotte zu Strub

Während dort seit gut zwei Jahrzehnten Neuauflagen der Strassenbahnen Einzug halten, die zu einem beträchtlichen Teil bereits vor dem Zweiten Weltkrieg entfernt worden waren, kehren auch hier, an diesem Berg, Schienen an einen Ort zurück, an dem bereits einmal solche lagen. Ab dem 26. Mai werden alle 20 bis 30 Minuten Zahnrad-Triebzüge den magischen Berg erklimmen, wobei ein Billett 9 Euro 50 kostet. Sie werden ihre Kletterpartien nicht – wie es weiland der Fall war – in Clermont-Ferrand beginnen, sondern von einer neuen, 5,3 Kilometer vom Gipfel entfernten Talstation aus. Sie benützen dafür die «Bergstrecke» der einstigen gemischten Strassen- und Bergbahn. Diese schraubt sich um den Berg herum in die Höhe und vermittelt dabei Ausblicke in sämtliche Himmelsrichtungen.

Die neue Anlage mit einer maximalen Steigung von 155 Promille bedient sich des Zahnstangensystems Strub mit einer einfachen gezackten dritten Schiene in der Mitte des Gleises, wie es auch bei mehreren Bahnen in der Schweiz üblich ist. Dadurch und durch ihre elektrische Traktion unterscheidet sich die neue Bahn auf den Puy-de-Dôme von ihrer Vorgängerin. 1907 in Betrieb genommen, vermochte sich diese nach der Pause des Ersten Weltkriegs nicht zu erholen, die auf eine kurze Blütezeit gefolgt war. 1925 musste die Bahn einer Strasse weichen – jener Strasse, die nun ihrerseits der neuen Eisenbahn Platz macht. Die Puy-de-Dôme-Bahn der ersten Generation war keine klassische Zahnradbahn, sondern eine Eisenbahn nach dem System Hanscotte.

Zur Überwindung grösserer Steigungen sieht dieses nicht eine Zahnstange in der Mitte des Geleises vor, sondern eine höher gelegte zentrale Schiene, an die horizontal angelegte Triebräder seitlich angreifen. Bei den Dampflokomotiven der ersten Puy-de-Dôme-Bahn kamen zu den drei Achsen mit den tragenden vertikalen Rädern vier horizontale Antriebsräder. Dieses System war ursprünglich auch für die hauptsächlich mit französischem Kapital finanzierte spätere Furka-Oberalp-Bahn ins Auge gefasst, dann aber verworfen worden.

 

 

Schweizer Know-how


Die Mutationen der Verkehrsmittel am Puy-de-Dôme spiegeln Zeitgeist und wirtschaftliche Rahmenbedingungen wider, die in Frankreich schneller ihren Niederschlag in Infrastrukturprojekten finden als in der Schweiz. Wie der Umbau des Trassees der ersten Bahn in eine Strasse die Euphorie über die heraufziehende Massenmotorisierung in den 1920er Jahren spiegelt, so ist die Wiederkehr der Eisenbahn Ausdruck eines zu Allgemeingut gewordenen Umweltbewusstseins, gemäss dem touristische Anlagen möglichst ressourcenschonend angelegt und betrieben werden sollen.

Das neue alte Verkehrsmittel bündelt nicht nur den Verkehrsstrom auf den Berg, sondern fügt sich, anders, als dies eine Luftseilbahn täte, harmonisch in die Landschaft ein. Lanciert von den regionalen Behörden und, was die Investitionskosten von 86,6 Millionen Euro angeht, zu zwei Dritteln von der öffentlichen Hand inklusive der Europäischen Union finanziert, oblag der Bau dem kanadischen Generalunternehmer SNC-Lavalin. Er hält auch die Mehrheit an der Betriebsgesellschaft. Technische Basis der Bahn bilden Anlagen und Fahrzeuge aus der Schweiz, des Gleisbauers Sersa und des Rollmaterialherstellers Stadler.

Stadler erfolgreich im Zahnradbahngeschäft

 

 

Stadler Rail hat eine Bestellung für vier Zahnradgelenktriebzüge auf den Puy-de-Dôme im französischen Zentralmassiv erhalten. Der Auftrag hat ein Volumen von rund CHF 25 Mio. Damit hat Stadler Rail in diesem Jahr gleich vier Aufträge für Zahnradbahnen erhalten. Die Bestellungen mit einem Gesamtvolumen von rund CHF 200 Mio. kommen aus Frankreich, Ös-terreich und der Schweiz: Die Zentralbahn ZB hat neue Interregio-Züge für die Brüniglinie Luzern – Interlaken bestellt. Stadler Rail wird vier 7-teilige und sechs 3-teilige Pendelzüge liefern. Die Transports de Martigny et Régions erhalten zwei 3-teilige Panoramatriebzüge für die grenzüberschreitende Strecke Martigny – Chamonix – St. Gervais. Und insgesamt vier Zahnradlokomotiven wurden von der Niederösterreichischen Schneebergbahn, der Matterhorn – Gotthard – Bahn und der Zentralbahn bestellt.




Neue Bahn auf den Puy-de-Dôme
Auf dem Trassee der bestehenden Strasse baut SNC-Lavalin eine neue elektrifizierte Zahnradbahn auf den Puy-de-Dôme im französischen Zentralmassiv. Diese überwindet auf rund 4 km etwa 600 Höhenmeter. Für diese neue Bahn hat der künftige Betreiber SNC-Lavalin bei Stadler Rail 4 Gelenk-triebwagen mit einem Auftragsvolumen (inkl. Reservematerial) von rund CHF 25 Mio. bestellt. Die Fahrzeuge basieren auf den Stadler-Triebzügen der Montserrat-Bahn bei Barcelona, die seit fünf Jah-ren erfolgreich in Betrieb stehen. Sie verfügen über ein an die touristischen Bedürfnisse angepasstes attraktives Interieur und sehr grosse Fenster, die einen freien Blick auf das herrliche Panorama erlau-ben.

Panoramazüge für den Brünig
Die ZB erneuert bis 2013 für CHF 141 Mio. ihre Flotte. Sie ersetzt die mittlerweile 40 Jahre alten In-terregio-Züge, welche zur Zeit über den Brünig verkehren. Vier 7-teilige Interregiozüge und sechs weitere 3-teilige Pendelzüge wurden bei Stadler Rail bestellt. Die 7-teiligen Züge bieten insgesamt 301 Sitzplätze, davon 80 in der ersten Klasse. Die 3-teiligen Züge dienen als Verstärkungszüge, wel-che sowohl über den Brünig wie auch im Talbereich eingesetzt werden. Sie bieten 143 Sitzplätze, davon 18 in der ersten Klasse.

Josef Langenegger, Geschäftsführer der ZB, freut sich «Das moderne Fahrzeugkonzept mit Panora-mawagen, Kundeninformationssystemen und Niederflureingängen wird unsere Kundinnen und Kun-den begeistern». Zudem wird in allen Interregio-Zügen ein modernes Bistro integriert, mit der Mög-lichkeit warme und kalte Mahlzeiten zu bestellen.

Stadler-Fahrzeuge von Martigny zum Fusse des Mont-Blanc
Die Tansports de Martigny et Régions hat bei Stadler Rail für die Strecke Martigny – Le Châtelard-Frontière – Chamonix – St.Gervais zwei 3-teilige Panoramatriebzüge und Reservematerial bestellt. Das Gesamt-Auftragsvolumen beträgt rund CHF 18,5 Mio. Die Züge basieren auf den sechs Fahr-zeugen, welche die Französische Staatsbahn SNCF in den vergangenen 5 Jahren bei Stadler Rail für ihren Streckenteil Le Châtelard-Frontière - Vallorcine – Chamonix – St.Gervais bestellt hatte. Jene verfügen indes nicht über einen Zahnradantrieb. Daher gibt es bisher nur wenige durchgehende Zü-ge, an der Grenze müssen die Reisenden meistens umsteigen. Dank der neuen Fahrzeuge wird es mehr durchgehende Züge zwischen Martigny und Chamonix am Fusse des Mont-Blanc geben.

Zahnradloks als Arbeitstiere
Die ZB und die Matterhorn-Gotthard-Bahn haben je eine und die Niederösterreichische Schneeberg-bahn zwei Zahnradlokomotiven bei Stadler Rail bestellt. Das Gesamt-Auftragsvolumen beträgt rund CHF 12 Mio., wobei darin noch einzelne Umbauten bestehender Fahrzeuge und Reservematerial enthalten sind. Diese Loks entsprechen über weite Strecken derjenigen, die bereits seit 2005 bei der ZB erfolgreich im Einsatz steht. Zusätzlich verfügen sie jedoch über eine Funkfernsteuerung. Die Leistung der Loks beträgt 550 kW. Der Antrieb ist dieselelektrisch mit modernster Drehstromantriebs-technik, welche bei Langsamfahrten für Infrastrukturarbeiten benötigt wird. Talfahrten können dabei auch energiesparend ohne laufenden Dieselmotor durchgeführt werden. Durch den gleichzeitigen Kauf von vier Loks dieser drei Bahnen können erhebliche Synergien genutzt werden. Davon profitie-ren alle drei Kunden in Form eines tieferen Kaufpreises.

Grösster Zahnradbahnauftrag aller Zeiten
Urs Wieser, Leiter Verkauf Zahnradfahrzeuge bei Stadler freut sich sehr über diese Aufträge: „Damit konnte Stadler Rail die Position als weltweit führender Hersteller von Zahnradbahnfahrzeugen erneut unter Beweis stellen. Beim Auftrag der Interregiozüge für die Brüniglinie handelt es sich zudem um den grössten Zahnradbahnauftrag, den es weltweit je gegeben hat.“ In den letzten Jahren wurden unter anderem neue Fahrzeuge für die Jungfraubahnen, die Bayerische Zugspitzbahn, die katalani-sche FGC oder die Matterhorn – Gotthard – Bahn und Gornergratbahn gebaut.

Stadler Rail Group, der Systemanbieter von kundenspezifischen Lösungen im Schie-nenfahrzeugbau, umfasst Standorte in der Schweiz (Altenrhein, Bussnang und Winterthur), in Deutschland (Berlin-Pankow und Velten), in Polen, (Siedlce), in Ungarn (Budapest, Pusztascabolcz und Szolnok) sowie in Algerien (Algier). Gruppenweit werden über 2'400 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigt. Die bekanntesten Fahrzeugfamilien der Stadler Rail Group sind der Gelenktriebwagen GTW (495 ver-kaufte Züge), der Regio Shuttle RS1 (402 verkaufte Züge), der FLIRT (547 verkaufte Züge) und der Doppelstockzug DOSTO (57 verkaufte Züge) im Segment der Vollbahnen und die Variobahn (264 verkaufte Fahrzeuge) und der neu entwickelte Tango (90 verkaufte Fahrzeuge) im Segment der Strassenbahnen. Des Weiteren stellt Stadler Reisezugwagen und zweiachsige Lokomotiven her und ist weltweit der führende Hersteller von Zahnradbahnfahrzeugen.