Neue SBB-Doppelstockzüge sind schon vier Monate in Verzug

Es war der grösste Auftrag in der Geschichte der SBB: Im Mai 2010 bestellten die Bundesbahnen für 1,9 Milliarden Franken 59 neue Doppelstockzüge beim kanadischen Bahnhersteller Bombardier. Pünktlich zum Fahrplanwechsel ab Dezember 2013 sollten die neuen Züge schrittweise in Betrieb genommen werden. So die Abmachung.

Doch daraus wird nichts. Die Produktion befindet sich vier Monate in Verzug, wie die Herstellerin Bombardier gegenüber der Aargauer Zeitung bestätigt. Die neuen Züge könnten frühstens Anfang 2014 nach und nach eingesetzt werden. Gemäss Bombardier-Schweiz-Chef Stéphane Wettstein sei das Ziel, dass die neuen Züge bis Ende 2014 – also zum Fahrplanwechsel – vollständig integriert seien.

 

Bombardier ist mit der Fabrikation der bestellten Doppelstockzüge deutlich hinter dem Fahrplan Wie kommt es zu diesem Produktionsverzug?    Von Thomas Schlittler - Aargauer Zeitung

Bombardier Testzug im März 2011 in Aadorf                                  Foto: Marcel Manhart

 

 

Verzug durch Änderungswünsche 

Die Verzögerung sei durch ein so genanntes «ausgedehntes Stakeholder-Management» entstanden. Im Sommer des letzten Jahres konnten 200 Fachleute und Interessenvertreter anhand eines Holzmodells im Massstab 1:1 Änderungswünsche an den neuen Zügen anbringen. Insgesamt wurden dabei über 1000 Vorschläge zur Optimierung eingereicht.

Der zeitliche Mehraufwand für die Umsetzung dieser Verbesserungsvorschläge bringt Bombardier jetzt offenbar in Zugzwang: «Im Moment liegen wir rund vier Monate hinter dem Fahrplan. Wir sind aber optimistisch, dass wir einen Teil dieses Rückstands im Produktionsprozess wieder aufholen können», sagt Wettstein.

Beim Schweizer Bahnindustrieverband Swissrail hofft man, dass Bombardier den Liefertermin möglichst einhalten kann: «Für die Glaubwürdigkeit unserer Industrie wäre die pünktliche Lieferung extrem wichtig», betont Swissrail-Direktorin Michaela Stöckli. Den genauen Zwischenstand der Produktion könne sie nicht beurteilen, sie verlasse sich dabei auf das Wort von Bombardier.

Es sei jedoch auffällig, dass für ein Projekt, das Ende 2013 fertig sein sollte, ausserordentlich viele Zulieferaufträge noch nicht vergeben seien. Das setze letzten Endes die Lieferanten unter Druck: «Wenn Bombardier unter Zeitdruck steht, geraten auch die kleinen Zulieferbetriebe in Zugzwang.» Diese könnten ihre Kapazitäten im Moment jedoch kaum erhöhen, um einen Produktionsrückstand aufzuholen: «Die Bahnindustrie ist momentan gut ausgelastet.
Es wäre kaum möglich, einen neuen Auftrag einfach vorzuziehen.» Deshalb zeichnet sich ab, dass es äusserst schwierig wird, den Produktionsverzug aufzuholen.

Auch eine Klage ist noch hängig

Doch damit nicht genug. Zusätzlich gefährdet wird eine termingerechte Lieferung durch eine hängige Klage. Behindertenverbände gelangten im letzten Herbst mit einer Beschwerde gegen die SBB ans Bundesverwaltungsgericht. Sie beschwerten sich darüber, dass die neuen Doppelstockzüge von Bombardier den Reisekomfort für Rollstuhlfahrer wesentlich verschlechterten. Wann in diesem Fall ein Urteil gefällt werden kann, wollte das Bundesverwaltungsgericht gegenüber der az nicht bekannt geben. Sollte das Gericht die Klage aber gutheissen, müssten die Konstruktionspläne für die Züge geändert werden: «In diesem Fall müssten wir mit den SBB zusammensitzen und das weitere Vorgehen besprechen. Eine Lieferung innert nützlicher Frist wäre dann aber kaum möglich», sagt Bombardier-Geschäftsführer Wettstein.

 

SBB bleiben optimistisch

Bei den SBB weiss man, dass die Produktion der neuen Züge momentan um einige Monate verspätet ist. Man gehe aber davon aus, dass die ersten Fahrzeuge 2014 eingesetzt werden können und somit keine negativen Konsequenzen für das Fahrplanangebot entstehen, liess das Unternehmen auf Anfrage verlauten. Grössere Sorgen machten sich die Bundesbahnen hingegen, wenn die Beschwerden der Behindertenverbände gutgeheissen werden sollten. In diesem Fall würden sich die Produktion und die Inbetriebnahme der Züge verzögern, was laut SBB-Sprecherin Meyer «noch nicht abschätzbare Auswirkungen auf den Bahnbetrieb» nach sich ziehen würde.